Mein erster 2012er: über den Jungverkostungswahn

BeurerUm mich und Euch nach den ganzen Loire-Monsterartikeln (und vor deren letztem Teil) ein wenig zu entspannen, habe ich spontan ein paar Flaschen 2012er Riesling gekauft und die erste davon auch aufgemacht. Voilà, der Gutswein von Jochen Beurer aus dem Remstal. Damit dürfte ich von allen, die sich ein bisschen intensiver mit Wein beschäftigen, der absolut allerletzte sein, der seinen ersten Wein aus dem neuen Jahrgang trinkt. Warum das so ist, und was ich über bepunktete Proben kurz nach der Füllung halte, könnt Ihr in diesem Artikel lesen. Aber Achtung: Die Sache ist nicht so eindeutig, wie sie zunächst scheint.

Natürlich bin ich – wie wahrscheinlich alle Weinliebhaber – immer sehr neugierig darauf zu erfahren, wie sich denn die ersten Flaschen des neuen Jahrgangs machen. Beim 2009er und 2010er Jahrgang bin ich dieser Neugier auch nachgegangen und habe bei Weinmessen schon sehr früh die Jungweine probiert.

Der 2009er Jahrgang präsentierte sich allgemein schon jung erstaunlich „lecker“ und „trinkig“, viel Frucht, viel Spaß. Der 2010er Jahrgang hingegen war durchgängig bleich und entweder flach oder säurelastig. Schon die kleinen Weine machten keinen Spaß. Interessanterweise machen die meisten davon auch jetzt keinen Spaß, werden nie welchen machen. Bei den Großen sieht das aber ganz anders aus: In der Spitze ist 2010 für mich deutlich stärker als 2009 oder 2011, und deshalb habe ich erst kürzlich wieder ein paar 2010er nachgeordert. Natürlich haben sich beim 2010er der (mutige) Lesezeitpunkt und die (mutige) Art der Vinifizierung on the long run extrem stark ausgewirkt. Wesentlich stärker übrigens als beim Jahrgang davor oder danach.

Interessanterweise sind aber sowohl der Gesamtjahrgang als auch die einzelnen Jungweine aus 2009 deutlich höher bepunktet worden als aus 2010. Und zwar durchgängig, überall, ohne Ausnahme, mich selbst eingeschlossen. Nur deshalb sind die 2010er trotz der geringen Erntemengen übrigens hier und da noch zu bekommen. Mein persönliches Fazit dieser Jungweinverkostungen war daher im Nachhinein klar: alles total unseriös; Weine werden in einem Stadium bewertet (und sie tragen diese Punkte für immer mit sich herum), in dem man sie weder trinken sollte noch vernünftig einschätzen kann.

Und jetzt also die 2012er Jungweinverkostungen. Überall wird probiert, getwittert, bepunktet, es werden gar Medaillen und Preise verliehen. Das übrigens nicht nur von seltsamen Gremien wie den Landesweinprämierungen, sondern von geschätzten und erfahrenen Testern. Am 1. Mai 2013 fand beispielsweise der BerlinGutsrieslingCup statt, am 15. Juni 2013 der BerlinKabinettCup und gerade werden überall die Großen Gewächse durchgehechelt. Wohlgemerkt, alles Weine des Jahrgangs 2012. Was soll man nun von den Ergebnissen dieser Wettbewerbe halten? Oder vielmehr, was halte ich davon?

Die schnelle Antwort wäre (siehe oben), „unseriös, in drei Monaten sähe die Reihenfolge ganz anders aus; in dem Stadium, in dem ich den Wein gern trinken würde (nämlich mindestens ein Jahr später), wäre das dann endgültig alles über den Haufen geworfen.“

Die differenzierte Antwort macht es nicht nicht ganz so leicht. Zum einen: Unseriös ist das nicht. Es handelt sich um seriöse Verkoster, die allerdings lediglich eine seriöse Momentaufnahme festhalten. Was man zu diesem Zeitpunkt ganz zweifellos gut erkennt (und auch besser als später), ist die Machart des Weins. Der Eindruck der Restsüßehöhe, der Holzeinfluss, Gärnoten, Spontistinker, Schwefel, Hefe, so etwas. Deshalb lese ich die entsprechenden Notizen auch sehr gern. Was man sicher nicht wird einschätzen können, ist der Zustand des Weins auf seinem Reifehöhepunkt.

Aber – und das ist doch eigentlich allen unmittelbar Beteiligten klar – es geht bei solchen Veranstaltungen auch nicht darum, Leute anhand der Punkte dazu zu animieren, den Wein jetzt zu trinken, sondern den Wein jetzt zu kaufen. Denn das ist ja das Dilemma beim Weinmarkt, so wie er sich derzeit gestaltet: Die Winzer müssen den Keller schnell leermachen, bevor der neue Jahrgang kommt. Außerdem brauchen sie sofort Geld. Der Kunde auf der anderen Seite muss sich deshalb eigentlich zu früh für einen bestimmten Wein entscheiden, denn wenn dieselben Tester nach Jahren wieder eine – diesmal aussagekräftige – Vergleichsprobe machen, sind die Weine längst vom Markt.

Solche Jungweinverkostungen mit Punktevergaben sind deshalb nichts anderes als Marketingsevents mit – und das macht die Sache natürlich spannend – ein bisschen ungewissem Ausgang.

Der Markt braucht übrigens solche Veranstaltungen, die den Eindruck einer gewissen Seriosität vermitteln können und bei denen auch wirklich gute Weine getestet werden. Woran man das sehen kann? Daran zum Beispiel, dass der Gewinner des BerlinKabinettCups, das Weingut von Hövel an der Saar, von seinem Kabinett schon 4.200 Flaschen verkauft hat (wie ich nur gelesen habe, aber sofort bereit bin zu glauben). Und daran, dass Weinhändler beginnen, die entsprechenden Gewinnerweine mit diesem Hinweis zu bewerben.

Wahrscheinlich wird auch niemand, der deutsche Rieslinge liebt, ernsthaft behaupten können, Max von Kunow (Weingut von Hövel) oder Andreas Adam (der GutsrieslingCup-Sieger, Weingut A.J. Adam) hätten einen solchen Erfolg nicht „verdient“. Die Weine sind gut und werden auch nächstes und übernächstes Jahr gut sein. Andererseits: Spätestens ab Platz 4 beginnen die Verlierer. So ist ein solches Wettbewerbssystem nun mal, und gezieltes Marketing kann nicht funktionieren, wenn 60% der angestellten Weine eine Goldmedaille gewinnen. Wichtig scheint mir dabei nur zu sein, dass – sollte sich die Veranstaltung etablieren – die Gewinner schön ungleichmäßig sind. Zehnmal Klaus-Peter Keller in Folge führt letztlich zu Jubelpersern auf der einen und Stänkerern auf der anderen Seite, die Mitte wird schmal.

Vielleicht könnte man das Wettbewerbs-Portfolio künftig auch erweitern. Also zum Beispiel mit dem BerlinAußenseiterCup, an dem nur Weingüter teilnehmen dürfen, die weniger als drei Trauben im Gault Millau haben. Oder (das würde wirklich Spaß machen) mit dem BerlinUnderperformerCup, an dem nur große Weingüter teilnehmen dürfen, die von Adligen geleitet werden.

Mein persönliches Fazit der ganzen Geschichte jedenfalls:  Für die Gewinner ist das ein sehr nützliches Instrument. Auch mit den Punkten. Händler können sich Werbetexte sparen, Kunden wissen endlich rechtzeitig, was sie wirklich kaufen müssen.

Was einem allerdings bewusst sein sollte: Durch solche Aktionen wird der Markt noch mehr beschleunigt, und das tut der Vielfalt der winzerischen Ansätze nicht gut. Wenn ein Winzer in Listen, die alle Einkäufer konsultieren, nie mehr auftaucht (und er damit eindeutige Wettbewerbsnachteile zu befürchten hat), weil a) seine Weine aufgrund geringer Eingriffe noch länger gären, b) der Winzer sich für ein langes Hefelager entscheidet oder c) gar den anachronistischen Ansatz verfolgt, seine Weine erst im nachfolgenden Jahr auf den Markt geben zu wollen, dann finde ich das persönlich ein bisschen problematisch. Oder anders ausgedrückt: Der Ansatz ist mir zu mainstreamig.

Was glaubt Ihr, macht es langfristig Sinn, ein Instrument zu etablieren, das solche Bewertungen erst später vornimmt und dem der Markt trotzdem folgt? Oder gibt es keine Winzer, die ihre Weine am liebsten erst später verkaufen würden? Oder aber sind sich Weine im Allgemeinen doch so ähnlich, dass solch kleine Unterschiede beim Quertest reine Freakdiskussionen sind?

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17 Antworten zu Mein erster 2012er: über den Jungverkostungswahn

  1. conne schreibt:

    Da wird es dann ganz schön kompliziert, wieviel später soll man denn Bewertungen vornehmen, bei welchem Wein? Mir schmeckt ja ein beispielsweise ein Caberbet franc oder Pinot Noir auch in den ersten einundhalb Jahren, bevor man dann oft ein paar Jahre warten muß, für andere kommt nur der spätere Zeitpunkt in Frage…Wo ist der Indifferenzpunkt, wo die Finesse oder Kraft, bei den unterschiedlichen Sorten? Der Anfang ist halt für alle gleich, da gibt es eine (vorgetäuschte) Objektivität, die ja alle diese Bewertungssyteme benötigen.
    Was die Jahrgänge betrifft -einerseits tue ich mir im ersten Jahr mit wirklichen Beurteilungen schwer, wahrscheinlich verstehe ich einfach zu wenig davon- Andererseits, 2008 war beim ersten Probieren sofort klar, das ist meins, 2009 habe ich dann gleich aufgehört und nochmal nach den 2008 gesucht und 2010 war klar, viel probieren, nur von den sorgfältigst Arbeitenden,davon aber unbedingt. 2011 habe ich mich glaube ich getäuscht und der ist schwächer als ich dachte- was zumindest mein Weinbild betrifft. Die grobe Richtung ist wohl schon klar.
    Was die ganzen Prämierungen angeht, sind sie mal gerechtfertigt, oft auch nicht. Der eine kann halt besser verkaufen oder hat eine Nase für Angesagtes…
    Aber das weißt Du ja sowieso.
    Ich habe auch nicht den Eindruck, daß die Weingüter bei denen ich Wein kaufe, auf diese Art von Wettbewerb angewiesen sind. Die meisten sind von kleiner bis mittlerer Größe und haben eigentlich immer einen treuen Kundenstamm, die wissen was sie möchten und auch bekommen.
    Aber wahrscheinlich gibts wie immer auch Gegenbeispiele.
    Und ein guter Weinhändler oder ein Blog wie dieser sind ja auch verlässliche Bewertungsinstrumente.
    Schönen Gruß

    • Matze schreibt:

      Naja, kompliziert wird es nicht notwendigerweise. Ich meinte ja in meinem Artikel in erster Linie Deutschland und Riesling, und da gäbe es schon die Möglichkeit, die GG-Berichterstattung und -Freigabe sagen wir mal ein Jahr später zu machen, wenn man denn wollte. Der 1. September ist ja willkürlich gewählt, und es könnte genauso gut ein anderes Datum sein.

      Im Grunde ist die ganze Geschichte ein bisschen bei Bordeaux abgekupfert. Oder vielmehr, der Ansatz scheint ähnlich zu sein, aber die adäquaten Auswirkungen fehlen. Der Primeur-Hype in Bordeaux mit seinen Fassmustern hat ja ganz erhebliche Auswirkungen auf den Weinstil und die Preise. Und genau das spielt (vielleicht zum Glück) in Deutschland gar keine Rolle, denn die Preise sind bis auf minimale Ausnahmen, bei denen danach wirklich eine Verknappung auf dem Markt stattfindet, ja komplett unspekulativ. Ich weiß im Übrigen gar nicht (das wäre auch mal interessant zu erfahren), welche Weingüter in Deutschland nicht über einen Kundenstamm verfügen wie diejenigen, bei denen Du kaufst. Die also in der Tat auf gute Bewertungen und gelungene Werbung angewiesen sind und ansonsten auf ihren Sachen sitzen bleiben würden… Aber das ist natürlich noch mal ein ganz anderer Aspekt.

  2. cedric fischer schreibt:

    Der Jungverkostungswahn, wie du es nennst, ist Ausgeburt eines sich rasant wandelnden Marktes. Dazu zählen der Hype um die Großen Gewächse (der ja von allen Seiten erwünscht ist) ebenso wie die sich rasant verändernde Weinkritik in Deutschland. Letzteres heißt: Es gibt keine Großkritiker des deutschen Weins – ein Stuart Pigott war das in den 90ern, der GM-Weinguide als Institution auch. Heute führen eine Vielzahl von Bloggern einen Überbietungswettbewerb, was Weinbewertungen angeht – und darüber allein könnte man schon endlos schreiben. Der Effekt ist eine wahre Inflation von Rankings, bei der mal der eine Winzer, mal der andere vorne liegt – schau Dir nur die Bewertungen der 2012 GG’s an. Es gleicht sich da alles irgendwie aus. Auch die Keller-Dominanz scheint gebrochen, jetzt sind es von Winning oder van Volxem, morgen wird (Pardon!) eine andere Sau durchs Dorf getrieben – was soll es?

    Die Idee, Spitzenweine erst nach einer gewissen Lagerzeit zu beurteilen klingt besser als sie ist. Wann soll das sein? Die Kategorie der GG entwickelt sich immer mehr zu einer elitären Klasse hochgezüchteter Top-Athleten, deren wichtigstes Ziel es ist, zu gewinnen. Ich hatte an diesem Wochenende ein 2011 Heerkretz GG von Wagner-Stempel aufgemacht und über vier Tage aus der Karaffe getrunken. Der Wein liegt eigentlich voll in meinem Beuteschema: kühl, rassig, mineralisch, aber von allem so viel, dass der Wein einfach nur super-anstrengend war. Ich will damit sagen: Auch den Kritikern fehlt jede Erfahrung mit diesen Weinen. Werden sie je die souveräne Majestät aufweisen, die ich mit wirklich großen Weinerlebnissen verbinde? Oder sind sie so ehrgeizig, selbst mir als Genießer meine Grenzen aufzeigen zu wollen?

    Aber all das ist ja gewollt. Der deutsche Wein sollte wieder eine besondere Begehrlichkeit ausstrahlen. Deshalb gibt es GG’s und Millionen Möchtegern-Parkers, die alles über Wein wissen, aber oft nichts von Genuss verstehen. Aber es gibt ja auch andere …

    • Matze schreibt:

      Da sprichst Du eine Menge interessanter Aspekte an, über die man in der Tat sehr viel schreiben und diskutieren kann.

      Die Sache mit den fehlenden Großkritikern betrifft ja nicht nur den deutschen Weinmarkt. Das hat zwar jetzt nur marginal mit unserem Thema zu tun, aber gerade im Technikbereich sind die Blogger mittlerweile total beherrschend. Was dazu führt, dass ein privater Kampf darum entstanden ist, wer die Neuheiten als erstes testen kann und damit dann in der Google-Suche ganz vorn ist. Und da geht es wirklich um Geld.

      Klar hat Bloggen in vielen Fällen auch etwas mit persönlicher Eitelkeit zu tun. Wer öffentlich schreibt, tut das ja entweder, weil er als Person wahrgenommen werden möchte (um dann z.B. auf Events eingeladen zu werden), oder weil er hofft, sich in diesem „neuen Medium“ tatsächlich eines Tages den Lebensunterhalt verdienen zu können (ggf. sieht er seine Felle im Journalismus gerade davonschwimmen), oder weil er ein gewisses Sendungsbewusstsein in der Sache besitzt. Manchmal auch, weil er sich für etwas sehr stark interessiert und sich darüber mit anderen austauschen möchte. Das war vermutlich am Anfang des Bloggerwesens häufiger der Fall.

      Was die „Mode“ bei den GGs anbelangt, und wer gerade vorn ist, das ist in der Tat eine interessante Sache. Ich glaube nicht, dass die Keller’schen Weine in den letzten Jahren schlechter geworden sind, aber derzeit scheint sich ein bisschen der Wind zu drehen. Von Winning und van Volxem finde ich als Beispiele deshalb interessant, weil beide einen eigenen, ziemlich gut wiedererkennbaren Stil pflegen. Ich hatte das schon mal an anderer Stelle geschrieben, aber ich glaube, wenn Leute in Blindverkostungen spontan richtig liegen und sich hernach auf die Schulter klopfen lassen können ob ihrer Kennerschaft, dann steigt auch die Bereitschaft, einen solchen Wein höher zu bewerten. Rein prinzipiell. Genauso prinzipiell kann man sich aber auch gegen solche Weine verschwören. Ein bisschen habe ich das Gefühl, dass das gerade mit Schäfer-Fröhlich passiert. Die interne Dynamik von Verkostungsrunden spielt auch immer eine große Rolle. Allein im Zimmer verkostet, würde manche Bewertung vielleicht ganz anders aussehen.

      Das GG-Konzept finde ich übrigens auch gut, genau wie die neue VDP-Pyramide. Das sind für mich theoretisch absolut richtige Überlegungen, aber wie Du schon sagst, entscheidend ist dann die Umsetzung. Das „von allem Zuviel“ ist auch der Grund, weshalb ich GGs am liebsten wirklich lang reifen lasse, bis sich manche Komponenten einfach besser eingebunden haben. Eines meiner schönsten GG-Weinerlebnisse hatte ich mit der 2002er Aulerde von Wittmann, weder der größte Jahrgang noch die größte Lage, aber halt auf hohem und dennoch genüsslichem Niveau ausgewogen. Also alles andere als ein Show-Wein. Aber es stimmt natürlich vollkommen, uns allen fehlt die Erfahrung sagen zu können, ob sich ein 2012er GG in zehn Jahren genauso gut und „trinkig“ präsentieren wird – und vor allem, welche Voraussetzungen ein solch späterer Souverän mitbringen muss und an welchen heutigen Merkmalen man ihn erkennen kann.

      Ich finde halt vor allem wichtig, dass das Motto „viele Wege führen nach Rom“ in der Weinwelt fest verankert ist. Und da sind Jungwein-Punkte, egal ob von Möchtegerns oder Superprofis, gleichermaßen schwierig. Gut in dem Zusammenhang (hast Du sicher auch im Weinforum gelesen) fand ich von Markus Vahlefeld übrigens die subjektive Einteilung nach „Schulen“ und „Stilen“ der von ihm probierten GGs und dann jeweils seine interne Bewertung. Ist doch schon mal ein guter Schritt zur Differenzierung.

      • cedric fischer schreibt:

        Lieber Matze,
        die Dynamiken der Bloggermeinungsbildung hast Du schön beschrieben. Ich finde die Weinblogger (da würde ich mir übrigens mehr Frauen wünschen) ja eigentlich sehr erfrischend. Selbstbezogene Kritikerpäpste in dunkelblauen Sakkos mit Goldknöpfen braucht heute keiner mehr. Vielstimmigkeit ist segensreich, zumal sich auf der Weinseite ebenfalls eine große Vielfalt entwickelt. Diese jüngere Kritiker-Generation wird mit und an den Großen Gewächsen (und das ist ja inzwischen die S-Klasse den deutschen Weins, und nicht mehr die edelsüße Kategorie) wachsen. Was mich bei einigen Bloggern aber nervt, ist dieser marktschreierische Narzissmus und dieser streberhafte Ehrgeiz, alles über Wein (besser) zu wissen. Macht mal locker, Jungs, möchte man ihnen zurufen, es geht ums Genießen. Lasst dem Wein auch seine Rätsel und Mysterien. Aber, wie gesagt, da gibt es auch andere …

        Das GG-Konzept finde ich auch gut. Es, der Klimawandel und (nicht zu vergessen) ein umfassender Generationswechsel in vielen Weingütern haben für einen gewaltigen Qualitätsschub beim deutschen Wein gesorgt. Und was gibt es nicht noch für großartige Weine von Winzern, die nicht im VDP sind. Aber dieses ständige Drehen an der Qualitätsschraube, das auch von der Kritik befördert wird, die jedes Jahr „Fortschritte“ erkennen (aber was bedeutet das in der Eliteklasse des Weins?) und die immer wieder auch mit neuen Stilistiken gefüttert werden will, wirkt auf mich auch etwas verkrampft. Bei Keller habe ich einen Selbstversuch unternommen wie Du einst und bin zum selben Ergebnis gekommen (aber Kellers restsüße Weine können grandios sein). Van Volxem finde ich (zu) kraftvoll und würzig, bevorzuge den klassischen Saar-Stil a´la Zilliken, von Winning mit Holzton finde ich arg gewollt. Dass Dir die 2002 Aulerde von Wittman schmeckt, glaube ich gerne. 2002 war aber auch eine andere Zeit. Aber Wittmann fasziniert mich auch.

        Die Einteilung von Markus Vahlefeld ist interessant, aber die Winzer erscheinen mir teilweise austauschbar in diesen Kategorien, irgendwie ist das so eine typisch deutsche (Wein-) Seelenzergliederung. Der Würtz denkt ja derzeit auch intensiv über so was nach. Aber im Grunde habe ich davon zu wenig Ahnung. Mir ist noch der Ausspruch eines meiner Lieblingswinzer im Ohr: „Ein großer Wein entsteht im Kopf“. Soll heißen: Man muss klare Vorstellungen davon haben, wie ein Wein schmecken soll, bevor man ihn erzeugt. Und das ist, finde ich, mal eine echte Wahrheit, die jenseits des ganzen Authentizitätsgeschwurbels, das auch die Winzer prima draufhaben, Bestand hat. Rechtfertigt das die Einteilung der Weinerzeuger in eine der Vahlefeld-Kategorien? Ich glaube nicht.
        Sorry, dass der Beitrag so lang wurde.
        Viele Grüße,
        Cedric

      • Matze schreibt:

        Oh, Du brauchst Dich nicht zu entschuldigen, dass Dein Beitrag lang geworden ist, ganz im Gegenteil – und erst recht nicht hier ;). Was mir am Bloggen nämlich gefällt, ist der Austausch mit Leuten über ein Thema, das beide Seiten interessiert. Ich finde auch, dass sich in den letzten wenigen Jahren unheimlich viel getan hat. Und dass sich Leute quer durch die Republik bei Weinproben treffen und miteinander plaudern können, ist eine sehr angenehme Seite des Internets, auch oder gerade dank Blogs und Foren. Ich habe jedenfalls schon sehr nette Menschen dadurch kennengelernt und möchte das nicht mehr missen.

        Dass Frauen bei Weinblogs wie auch bei Weintreffen so stark unterrepräsentiert sind, ist wahrscheinlich immer noch eine Auswirkung stark mackeriger Zeiten. Ich möchte nicht behaupten, dass diese Zeiten schon vorbei sind, aber ein bisschen bröckelt das bereits. Interessanterweise habe ich aus Japan von einem Weinhändler gelesen, der fast nur an Frauen verkauft (er hat viel vins naturels und Artverwandtes im Angebot). Er meinte, dass die Männer über ihren Bordeaux Grands Crus fachsimpeln, während die Frauen lieber unbekannte Weiße von der Loire probieren, weil sie nicht diese eingefahrenen Vorstellungen mitbringen würden. Ich bin weit davon entfernt, hier irgendwelche geschlechtstypischen Muster ausmachen zu wollen, aber mir scheint, wenn es weniger mackerig und extrem-nerdig zugeht, sprich wenn auch etwas mehr Spaß und Genuss mit ins Spiel kommen, dann wird der Frauenanteil auch deutlich höher.

        Ich sehe auch, dass sich auf Seiten der Winzer hier in Deutschland enorm viel getan hat. Und noch tun wird, und zwar in mehr Richtungen, als das bislang den Anschein hat. Die Qualität ist in der Breite ganz sicher massiv gesteigert worden, jetzt muss halt meiner Meinung nach die Unangepasstheit noch größer werden.

        Das mit dem großen Wein, der im Kopf entsteht, ist ein wahres Wort. Ich glaube, um so einen Wein entwickeln zu können, braucht man auch ein wenig – wie soll ich das sagen – geistigen Überbau, die Reflexion darüber, was diese Weinberge und diesen Landstrich besonders repräsentieren könnte und natürlich auch die Erfahrung etlicher „großer Weine“ aus anderen Regionen. Nicht zwecks Kopie, aber damit man weiß, ob und welche Orientierungspunkte es geben könnte.

  3. Pingback: Über den Jungverkostungswahn | berlinkitchen33

  4. Charlie schreibt:

    Bei beiden erwähnten Berlin- Proben war ich dabei und habe fleißig mitgepunktet. Als ich zu der Kabinettprobe eingeladen wurde, war ich irritiert und ein bisschen gekränkt, denn schließlich veranstalte ich schon seit 2005 Jahr für Jahr eine Kabinettprobe. Das war mir dann schnell vergangen, denn:
    1. hatte ich es in 2013 organisatorische nicht hingekriegt und bin Martin Zwick dankbar, dass er eingesprungen ist. Und
    2. war es dann doch eine ganz andere Art Probe. Und darauf will ich hinaus (bisher war Einleitung).

    Die Heidelberger Kabinettprobe hat zum Ziel, herauszufinden, ob noch kabinettige Kabinette erzeugt werden. Es gibt kein gemeinsames Ranking. Die Verkoster sind weniger bekannt oder berühmt. Deshalb sind, obwohl so ähnlich, die beiden Proben komplementär und ich hoffe, es wird nächstes Jahr beide geben.

    • Matze schreibt:

      Was mir besonders gefallen hat, war – ich erwähnte es ja schon indirekt – die Tatsache, dass Du die Kabinette der Berliner Probe auch beschrieben hast und auf „heidelbergische Art“ in den VKN mit dem Zusatz „kabinettig“ oder eben nicht versehen hast. Die Kabinettigkeit hat die Punktvergabe insgesamt (bis auf die Feinherben) ja wenig beeinflusst, aber für mich ist das eine entscheidende Info, wenn ich mir einen Kabinett zulegen möchte.

  5. Charlie schreibt:

    Habe die andere Seite vergessen: es gibt durchaus Spätere Proben. Aber das verliert sich schnell in Foren und auf Blogs.

  6. Rainer Kaltenecker schreibt:

    Schreiben bildet. Das ist zumindest mein zentrales Motiv mich immer wieder der Mühe dieser Marathon-Verkostungen hinzugeben. Ohne die Verkostungsnotiz als Ergebnis, wäre ich heute in Sachen Sensorik nicht da wo ich heute bin. Damit will ich nicht sagen, dass ich mir einbilde bereits ein besonders Level erreicht zu haben. Es sorgt aber für eine fortlaufende Reflektion der Sinne und das kritische Hinterfragen des eigenen Eindrucks.

    Darüber hinaus schätze ich die Vielfalt, bei den Weinen, aber auch bei den Menschen, die darüber berichte. Den Artikel von Markus Vahlefeld fand ich auch sehr gut, auch wenn mir nie die Idee käme Rieslinge auf diese Weine zu untergliedern, aber Markus eröffnet mir damit eine neue Perspektive und dafür bin ich dankbar. Es ist mir dabei nicht immer so wichtig, ob ich damit übereinstimme, sondern ob es mir neue Implulse, neue Sichtweisen gibt. Wenn sich dann ein so ausgewiesener Kenner die Mühe macht, um so besser. Allgemein neigen wir zu schnell dazu über andere zu urteilen, als es einfach als bereichernde Vielfalt bestehen zu lassen.

    Will man den trockenen Riesling irgendwann in seiner Reifeentwicklung über seine Jahrzehnte verstehen, gehören Jungweinproben meines Erachtens dazu. Wie wollen wir denn sonst lernen? Ich empfinde es schlichtweg als aufregend die Gewächse über ihre Zeit hin zu begleiten und sie in ihren Höhen und Tiefen zu erleben. Meine These ist, dass man bereits im Jungweinstadium durchaus Merkmale erkennen kann, die auf eine höhrer Wahrscheinlichkeit einer positiven Reifeentwicklung hinweisen, oder eben nicht. Gerade 2011 und 2012 waren da besonders eindrucksvoll, denn sie präsentierten sich in ihrer Jugend (und 2012 tut es natürlich noch) sehr unterschiedlich. Meine Wette lautet, dass 2012 das deutlich bessere Jahr ist, aber es bleibt schlussendlich abzuwarten. Aber selbst das ist nicht so wichtig, auch hier erfreue ich mich der Vielfalt.

    Noch ein Wort zum Jahrgang 2002. Mich überrascht nicht, lieber Matze, dass dir die 2002er-Aulerde gut gefallen hat. Es ist ein besonders gelungener Wein. War ich früher ob der Qualität von 2002 eher skeptisch, neige ich heute dazu, ihm heute die Krone des letzten Jahrzehnts zuzusprechen, zumindest was trockene Rieslinge angeht. Aber auch restsüße Weine können fabelhaft sein – probier mal die 2002er Monzinger Halenberg Spätlese -Rutsch- von Schönleber.

    Viele Grüße aus der Nachbarschaft und danke für deine großartigen Beiträge.

    • Matze schreibt:

      Ja, mir geht es ganz genau wie Dir. Zum einen kann ich nichts beschreiben, was ich nicht selbst probiert habe, also bilde ich mich schon einmal auf diese Art weiter. Dann reift man selbst ja auch mit zunehmenden Sensorikerlebnissen. Und schließlich bringen mich die Recherchen zu dem einen oder anderen Winzer/Produkt/Region immer enorm weiter. Das merke ich natürlich ziemlich stark (ich denke, es geht Dir genauso), wenn ich mir meine eigenen Verkostungsnotizen und Werturteile von früher durchlese. Und in 20 Jahren wird es mir wahrscheinlich genauso gehen bei meinen heutigen Aufzeichnungen. Dasselbe gilt, wie Du schon sagtest, mit den Erfahrungen und Perspektiven anderer – egal ob in Foren, in Blogartikeln oder in Buchform – die mich schon oftmals inspiriert haben.

      Zur Alterungsfähigkeit trockener Rieslinge ist es natürlich so, dass wir nicht komplett ahnungslos sind. Ich hatte darüber ja schon im Zusammenhang mit Eurer großartigen Kameha-Probe geschrieben (ich glaube, das sollte ich hier mal wieder verlinken: https://chezmatze.wordpress.com/2012/01/31/aufbruch-des-trockenen-rieslings-weinprobe-im-kameha-grand-hotel-in-bonn/). Meiner Meinung nach bringen die Jahrgänge 2006, 2007, 2009 und 2011 deutlich schlechtere Langfrist-Reifevoraussetzungen mit als (in der Spitze) 2004, 2008, 2010 oder vermutlich auch 2012. Man braucht ein Skelett und nicht nur Fleisch. Wobei ein Riesling aus lauter Knochen auch keine so schöne Zukunft hat. Aus meiner selbstgewählten Zurückhaltung heraus kann ich über die Masse der 2012er Weine noch nichts sagen. Aber meine Erfahrung mit dem Jahresverlauf und mit den bislang getesteten „kleinen“ Weinen lässt mich auch wirklich optimistisch sein. Mit anderen Worten: Deine Wette kannst Du mit jemand anders machen ;).

  7. berlinkitchen33 schreibt:

    Ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß es nicht um den „Cup“ ging oder um Punkte bzw. mal wieder eine Sau durchs Dorf treiben. Nein, Hauptdarsteller und Star der Probe war der KABINETT. Ich glaube, das haben wir ganz gut hingekriegt.

    Grüße aus Berlin,
    Martin Zwick

    • Matze schreibt:

      Ja Martin, das wird doch auch niemand bezweifeln. Ich möchte da deshalb auch nicht ein Gegensatzpaar aufmachen, wo ich etwas Komplementäres sehe. Fakt ist doch, dass man auf eine Sache besser aufmerksam machen kann, wenn man sie entsprechend herausstellt. Auf prägnante Weise. Und sowas wie der „Cup“ und sichtbare Punkte sind halt wesentlich wirkungsvollere Mittel als eine Beschreibung wie „würzig, reintönig, feine Frische und Biss“. Und die Tatsache, ein gutes Produkt auch entsprechend zu „bewerben“, wenn man davon begeistert ist, kann man doch nur als ausgesprochen missliebiger oder ausgesprochen bösgläubiger Mensch schlecht finden. Zahlen sagen halt mehr als Worte, und Worte können da nur mithalten, wenn sie genauso prägnant und eindeutig sind. Wie das „Arschjahr“ zum Beispiel. Marketingtechnisch ein großer Coup – außer vielleicht, dass der Begriff selbst jetzt nicht so 100%ig positiv besetzt ist ;).

      Um es noch mal klar zu machen: Ich bin der Meinung, dass Ihr sowohl dem Kabinett als solchem als auch dem Gewinner-Winzer wirklich helft, das aber halt zu einem Zeitpunkt tut, an dem der Kauf (= der Marketing-Aspekt) im Vordergrund steht. Das ist weder bedenklich, noch macht es derzeit irgendjemand systematisch anders. Aber Weine, die (vielleicht auch durch die bewusste Entscheidung des Winzers) langsamer in die Puschen kommen, haben es da schwerer. Darüber muss man sich halt bewusst sein.

      Und jetzt werde ich mir ein paar Fläschchen Kabinett bestellen, die Diskussion verlangt nach praktischer Umsetzung ;). Ich werde mal schauen, ob ich einen etwas älteren Jahrgang bekomme, bin gespannt, ob es noch welche gibt…

      • Pankower schreibt:

        Interessante Diskussion – aber wie hat denn Beurers Guts-Riesling eigentlich geschmeckt?

      • Matze schreibt:

        Äh ja, das scheine ich vergessen haben zu erwähnen ;). Gut hat er geschmeckt, sehr hell in der Anmutung noch, recht straff, viel Fruchtsäure. Macht jetzt schon Spaß, dürfte aber sicher in zwei Jahren noch harmonischer sein. Insgesamt aber sehr vielversprechend, was die „höherwertigen“ Beurer-Weine anbelangt & macht auch Lust auf andere 2012er-Weine, die auf ähnliche Art hergestellt wurden.

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